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Juristische Fachsprache in niederdeutschen Verfassungstexten

Joachim GERDES



Abstract

Der Artikel befasst sich mit den niederdeutschen Übersetzungen der Staatsverfassungen fünf norddeutscher Bundesländer und dem Grad der Fachsprachlichkeit dieser Übertragungen. Dabei kann deutlich gemacht werden, dass die terminologische Präzision und Eindeutigkeit vieler Fachbegriffe in den niederdeutschen Übersetzungen wissenschaftlichen Kriterien nicht standhält, was auch in einem Mangel an fachsprachlicher Tradition und terminologischer Lexik im modernen Niederdeutschen begründet liegt.

In this paper I will discuss Low German translations of the constitutions of five North German federal states (Land) and analyze linguistic aspects of the specialized discourse in those texts. What will emerge is a lack of terminological precision and unambiguity in modern Low German constitutional texts due partly to insufficient tradition in specialized writing and the lack of specialized vocabulary which can guarantee a correct translation of concepts of legal terminology.

1 Modernes Niederdeutsch als Rechts- und Verwaltungssprache

Um auf die Verwendung des modernen Niederdeutschen als Rechtssprache eingehen zu können, seien zunächst einige einführende Worte zur aktuellen Situation der niederdeutschen Sprache an den Anfang gestellt: Das moderne Niederdeutsch, in der Eigenbezeichnung "Plattdeutsch / Plattdüütsch / Platt", ist seit 1999 durch die Europäische Sprachencharta von 1992 als Regionalsprache und seit 1994 außerdem als Minderheitensprache anerkannt.1 Die Bundesländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben in den 90er Jahren einen Teil der Bestimmungen des Artikels III der Sprachencharta als verpflichtend für ihre Sprachpolitik gesetzlich anerkannt. Den weniger verbindlichen Artikel II der Sprachencharta haben ferner die Bundesländer Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt übernommen.2 Auch wenn das Niederdeutsche heute nur in begrenztem Umfang vorwiegend im ländlichen Raum und mehrheitlich von älteren Bürgern, als Umgangs- und Verkehrssprache verwendet wird, hat es mit der Anerkennung des Artikels III der Sprachencharta in den fünf nördlichen Bundesländern eine deutliche Aufwertung erfahren; denn die Landesregierungen sind verpflichtet, die Rolle der niederdeutschen Regionalsprache in Bildung, Kultur, Medien, aber auch in Verwaltung und Rechtspraxis zu fördern und das Niederdeutsche als gleichberechtigte Alternative zur Standardvarietät anzuerkennen.

Politische und gesellschaftliche Bemühungen, dem Niederdeutschen auch im Bereich öffentlicher Institutionen wieder mehr Gewicht zuteil werden zu lassen, stehen jedoch in einem gewissen Widerspruch zur sprachhistorischen Entwicklung. Während das Mittelniederdeutsche noch den Status einer wichtigen überregionalen Rechts- und Verkehrssprache innehatte und zeitweise sogar als führende Schriftsprache im gesamten nördlichen Mitteleuropa und als Lingua franca in Nordeuropa fungierte, ist das moderne Niederdeutsch im Verlaufe der vergangenen drei Jahrhunderte zur fast ausschließlich mündlich verwendeten und weitgehend auf den familiären und privaten Bereich begrenzten Regionalsprache abgesunken. Eine Studie von 2008 zeigt, dass der Rückgang niederdeutscher Sprachkompetenz und die Verdrängung des Niederdeutschen durch das Standarddeutsche auch in den letzten Jahrzehnten unaufhaltsam vorangeschritten sind: Von 1984 bis 2007 ist der Anteil von Sprechern mit sehr guter oder guter Sprachkompetenz in den fünf norddeutschen Bundesländern, in Westfalen, Nordbrandenburg und den nördlichen Teilen Sachsen-Anhalts (Altmark, Magdeburger Börde) von 35% auf 14% zurückgegangen. 2008 geben ferner 23% an, das Niederdeutsche "mäßig" zu beherrschen, 23% verstehen nur einige Wörter und 38% sind der Sprache überhaupt nicht mächtig (MÖLLER 2008: 33). Eine Halbierung des Anteils von uneingeschränkt kompetenten Sprechern in einem Zeitraum von knapp 25 Jahren lässt keine optimistische Prognose für die Zukunft des Niederdeutschen zu. Die Aufschlüsselung der Prozentzahlen der des Niederdeutschen mächtigen Sprecher nach Bundesländern zeigt jedoch, dass der Anteil von Region zu Region signifikant schwankt: So gaben 2007 in Schleswig-Holstein 26% der Sprecher an, über gute bis sehr gute Sprachkenntnisse zu verfügen, in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern 23%, in Niedersachsen jedoch nur 14%, in Hamburg und Westfalen 10% und schließlich in den niederdeutschsprachigen Gebieten Brandenburgs und Sachsen-Anhalts lediglich 5% (Vgl. MÖLLER 2008: 33).

In Anbetracht der prekären Gesamtsituation des Niederdeutschen, das sogar als private Alltagssprache einem rapiden Schwundprozess ausgesetzt ist, erscheint es durchaus fraglich, inwieweit die Sprache als Schul-, Bildungs-, Verwaltungs- und Rechtssprache in Zukunft eine ernst zu nehmende Rolle spielen kann. Unabhängig von diesen wenig hoffnungsvollen Einschätzungen werden im Folgenden anhand von exemplarischen linguistischen Analysen einige Überlegungen zu Status und Eignung des Niederdeutschen als juristische Fachsprache angestellt.

Die Verfügbarkeit von in modernem Niederdeutsch abgefassten Rechtstexten ist aus naheliegenden Gründen eingeschränkt. In niederdeutscher Sprache verfasste Texte juristischen oder amtlichen Inhalts scheinen bislang seltene Ausnahmen zu sein und eher Kuriositätenwert zu haben. Oeters stellt im Jahr 2010 für das Land Niedersachsen sogar fest, dass behördlicherseits nicht einmal Ausgangsdokumente für eine eventuelle niederdeutsche Behördenkommunikation existierten und dass gelegentlich auf Niederdeutsch verfasste Eingaben größtenteils zurückgewiesen würden (OETER 2010: 44f.). Einer der wenigen niederdeutschen Texte aus der Rechtspraxis, der sogar überregionale Bekanntheit erlangt hat, war die Anmeldung eines Gebrauchsmusters für eine Läägeünnerloage (Liegeunterlage) mit standarddeutscher Übersetzung beim deutschen Patent- und Markenamt in München, die mit der Begründung abgewiesen wurde, der Antragsteller müsse sein Dokument in deutscher Sprache einreichen, da dies die Sprache des Patentamtes sei (BÖRNSEN 2001: 192ff.). Diese Ablehnung seitens der Münchner Behörde löste einen kuriosen Rechtsstreit aus, der 2002 durch den Bundesgerichtshof zugunsten der Antragsteller entschieden wurde und somit zur sprachlichen Gleichstellung der niederdeutschen Sprache auch auf Bundesebene führte, zumal sie als anerkannte Minderheitensprache seit 1994 rechtlich nicht als Substandard dem Standarddeutschen untergeordnet, sondern als eigenständige Sprache definiert ist.3 Es zeigt sich demnach, dass das moderne Niederdeutsche in seiner rechtlichen und sprachpolitischen Stellung gegenüber der Standardvarietät keineswegs benachteiligt ist. In der Rechts- und Verwaltungspraxis spielt das Niederdeutsche nichtsdestotrotz eine marginale Rolle, was zweifellos auch mit dem Fehlen einer fachsprachlich-terminologischen Tradition zu erklären ist, zumal in den betroffenen Regionen seit Jahrhunderten das Standarddeutsche oder vormals sogenannte Hochdeutsch Rechts-, Verwaltungs- und Bildungssprache ist und das Niederdeutsche aus diesen Bereichen vollständig verdrängt hat.

2 Niederdeutsche Verfassungstexte

Die zur Zeit am leichtesten zugänglichen, fachsprachlich relevanten Texte in niederdeutscher Sprache sind neben der Allgemeen Verklaren vun de Minschenrechten, einer Übersetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 (MÖLLER / SPÖTTL 2007), Übersetzungen von norddeutschen Landesverfassungen ins Niederdeutsche. Da die fünf norddeutschen Bundesländer ihre Landesverfassungen im Laufe des vergangenen Jahrzehnts auch in niederdeutscher Sprache veröffentlicht haben,4 bietet sich hier eine ergiebige Quelle für die vergleichende Analyse von niederdeutschem Rechtsvokabular sowie fachsprachlichen grammatischen Strukturen, zumal die Verfassungstexte miteinander und jeweils mit der standarddeutschen Version konfrontiert werden können. Im Hinblick auf die Rechtsfachsprache bieten die Verfassungstexte insofern reichhaltiges Material, als sie u.a. Artikel zu den Rechtsbereichen Menschenrechte, Freiheitsrechte, Wahlrecht, Rechte und Pflichten der Parlamentsabgeordneten, Gerichts- und Justizwesen, Rechtspflege, Gesetzgebungsverfahren, Rechtsverordnungen, öffentliche Verwaltung, Finanzwesen, Bestimmungen über Verfassungsänderungen u.a. enthalten.

Daher bietet es sich an, im Folgenden anhand der niederdeutschen Verfassungstexte die terminologische und diskursive Gestalt dieser noch jungen Rechtsfachsprache zu diskutieren. Dabei werden lexikalische, morphologische und syntaktische Kriterien berücksichtigt und zu den standardsprachlichen Begrifflichkeiten in Bezug gesetzt. Die Verfassungstexte werden im Weiteren mit B (Bremen), H (Hamburg), M (Mecklenburg-Vorpommern), N (Niedersachsen) und S (Schleswig-Holstein) abgekürzt.

3 Fachbegriffe − Mehrwortbegriffe − Komposita

Ein grundsätzliches Problem der niederdeutschen Rechtssprache liegt offenbar im Mangel einer verbindlichen fachsprachlichen Terminologie. Das kann beispielhaft am Begriff der verleumderischen Beleidigung demonstriert werden, der in vier der fünf Verfassungen thematisiert wird: So wird der juristisch eindeutig definierte Begriff (StGB § 187) in M (Art. 24) als böswillige, ihrafsnidende Nahräd' bezeichnet, in H (Art. 14) als lögenhafte Beleidigung, in N (Art. 14) als Leeges naseggen. In S (Art. 24) wird schließlich das Präpositionalobjekt in einen Konditionalsatz umgewandelt und die Nominalphrase somit verbalisiert: "Dat gellt nich, wenn se oder he böösaardig falschsnacken deit". Der Begriff der Beleidigung wird in H unübersetzt übernommen, in M und N mit dem eigentlich dem standarddeutschen Nachrede entsprechenden Nahräd' bzw. naseggen übersetzt und in S durch das Verb falschsnacken, also die Unwahrheit sagen. Eine terminologische Unschärfe resultiert schon aus dem abweichenden Gebrauch des verbalen bzw. substantivischen Kopfes der Nominalphrase, da das wissentliche Verbreiten von Unwahrheiten über Dritte keinesfalls dem Tatbestand der Beleidigung entspricht, auch wenn es böösaardig, d.h. in übelwollender Absicht geschieht. In pragmatischer Hinsicht impliziert der Begriff der Beleidigung einen perlokutiven Akt, d.h. der Gesprächspartner muss den Sprechakt des Beleidigens auch als solchen wahrnehmen, damit dieser zustande kommt. Da beleidigen kein performatives Verb ist, reicht die Absicht des Sprechers, eine Beleidigung durchzuführen nicht aus. Insofern ist der Begriff juristisch problematisch, da er die notwendige Bedingung der Existenz einer durch die Straftat geschädigten Person nicht einschließt. Ähnliches gilt für den Begriff der Nachrede, der in der Rechtssprache in der Verbindung üble Nachrede Verwendung findet und sich von der Verleumdung bzw. verleumderischen Beleidigung dadurch unterscheidet, dass sich strafbar macht, "wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist" (StGB § 186), während der Straftatbestand der verleumderischen Beleidigung dann vorliegt, wenn jemand "wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist" (StGB § 187). Der Unterschied liegt also in der Wissentlichkeit der Unwahrheit der verleumderischen Beleidigung bzw. der Eindeutigkeit von deren Unwahrheit. Der Aspekt des bewussten Verbreitens von Unwahrheit wird sicherlich in M durch das Adjektiv böswillig und in N durch das Adjektiv leeg (schlecht, schlimm, falsch) ausgedrückt; dennoch ist, besonders im Fall von Leeges naseggen (N) eine klare Trennung der Straftatbestände der Verleumdung und der üblen Nachrede nicht mehr möglich. In M wird das Partizip ihravsnidend (ehrabschneidend, ehrenrührig) eingesetzt, wodurch in den Terminus der explikative Zusatz der öffentlichen Herabwürdigung aufgenommen wird, womit aber der in § 186 StGB ebenfalls enthaltene Aspekt der Verächtlichmachung, also der subjektiven Geringschätzung seitens des Beleidigers, letztlich entfällt. Zudem ist die Vielzahl von mehr oder weniger gleichbedeutenden Substantiven bzw. Verbsubstantivierungen (Nahräd', Beleidigung, naseggen, falschsnacken) sowie Adjektiven (böswillig, ihrafsnidend, lögenhaft, leeg, böösardig) in den verschiedenen Verfassungen verwirrend und kaum geeignet, den Ansprüchen einer funktionierenden und wissenschaftlich fundierten Rechtsterminologie zu genügen.

Als weiteres Beispiel für den Mangel an einheitlicher und eindeutiger Fachterminologie sei der Begriff des Finanzausgleichs genannt; weniger gravierend, aber terminologisch nicht irrelevant sind in diesem Fall orthographische Abweichungen, für die sich unzählige Beispiele anführen ließen. So erscheint in M die Benennung Finanzutglik (Art. 73), in S hingegen Finanzutgliek (Art. 49). Schwerwiegender sind hingegen morphologische Abweichungen, wie die Auflösung der Benennung Kommunaler Finanzausgleich in einen substantivierten Infinitiv mit Präpositionalattribut in N (Art. 58): Utglieken vun de Finanzen över de Gemenen (Ausgleichen der Finanzen über die Gemeinden), oder sogar in einen modalen Nebensatz in S (Art. 49): "Woans de Ünnerscheden in de Innahmen vun de Kommunen utgleken warrt."5 Das Beispiel zeigt, dass ein im Standarddeutschen eindeutig definierter und einheitlich verwendeter juristisch-verwaltungstechnischer Begriff in den untersuchten niederdeutschen Fachtexten in orthographischer und sprachökonomischer Hinsicht wie auch im Hinblick auf terminologische Präzision und Eindeutigkeit uneinheitlich wiedergegeben wird. Während der Begriff Kommunaler Finanzausgleich durch Artikel 107 des Grundgesetzes und durch Landesgesetze auf Grundlage des Artikels 106 des Grundgesetzes eindeutig definiert ist, lassen dessen Übersetzungen in den niederdeutschen Verfassungstexten unterschiedliche Deutungen zu und es ist nicht klar erkennbar, dass sie sich auf identische Gesetzesbestimmungen beziehen. Denn durch explikative oder paraphrasierende Übertragungen des Begriffes verlieren die Benennungen ihre terminologische Kohäsion und ihren eindeutigen begrifflichen Bezug.

Begriffliche Unschärfen treten ferner besonders häufig bei der Übertragung von in der Rechtssprache häufigen komplexen Komposita auf. Ein Beispiel dafür ist der Begriff der Verpflichtungsermächtigung: In juristischer Hinsicht handelt es sich bei einer Ermächtigung um die Übertragung eines Rechts an eine andere Person, der damit die Befugnis erteilt wird, "über dieses Recht im eigenen Namen zu verfügen, d. h. z. B. eine Forderung an Dritte zu übertragen oder sie einzuziehen. Der Ermächtigte erscheint nach außen als Inhaber des Rechts und wird auch Partner des Geschäfts", wenn auch im Auftrag des Rechtsinhabers, dessen Weisungen für ihn verpflichtend sind. Im Unterschied dazu ist bei einer rechtsgeschäftlichen Vollmacht oder einem gesetzlichen Vertretungsverhältnis nach außen hin erkennbar, "dass der Vertreter für einen anderen handelt und dass nicht der Vertreter sondern der Vertretene Partner des Geschäfts wird" (§ 185 BGB).6 Im öffentlichen Haushaltsrecht ermächtigt ein Parlament mit einer Verpflichtungsermächtigung die Exekutive, im Rahmen eines Haushaltsplans finanzielle Verpflichtungen über ein Haushaltsjahr hinaus einzugehen. Verpflichtungsermächtigungen spielen daher in der Finanzpolitik der Bundesländer eine wichtige Rolle, und in den Verfassungen wird jeweils darauf hingewiesen, dass diese zusammen mit Einnahmen und Ausgaben in den jährlichen Haushaltsplan aufzunehmen sind bzw. darüber im Jahresturnus Rechenschaft abzulegen ist. In den niederdeutschen Verfassungstexten gibt es hinsichtlich der einheitlichen Übertragung des finanzrechtlich zentralen Begriffes etliche Mängel. So erscheint in N zwar mit dem Kompositum Verplichtensvullmachten ein kohärenter Einwortbegriff, der jedoch als Determinatum den in diesem Zusammenhang nicht präzisen Begriff Vullmacht (Vollmacht) enthält (Art. 65). In S werden die "Verpflichtungsermächtigungen des Landes" sogar nur fragmentarisch als de Vullmachten vun dat Land übertragen, sodass der Ausgangsbegriff hier kaum noch wiederzuerkennen ist und zu einem sehr vagen und inhaltlich irreführenden Hyperonym verkürzt wird (Art. 50). In M wird die Nominalphrase Inanspruchnahme von Verpflichtungsermächtigungen seitens des Landesfinanzministers paraphrasiert zu "wowit hei von sin Recht Gebruk maakt, finanzielle Plichten tau oewernähmen" (Art. 67).7 In diesem Fall enthält die Übersetzung eine Extension, wenn die Inanspruchnahme der Verpflichtungserklärung als Gebrauch eines Rechtes wiedergegeben wird, das aber als solches nicht existiert, sondern die Regierung und ihre Minister werden jeweils eben erst durch das Parlament zu bestimmten, strikt zweckgebundenen finanziellen Maßnahmen ermächtigt. Das Determinans Verpflichtung wird als Plicht wiedergegeben und zusätzlich durch das Attribut finanziell einschränkend näher bestimmt. Das Determinatum Ermächtigung verliert jedoch in der Übertragung seine Exaktheit, wenn die juristische Eindeutigkeit des Begriffs durch das verbale oewernähmen verwässert wird. Denn das dem standarddeutschen übernehmen entsprechende Verb ist terminologisch äußerst vage, zumal es in M auch in ganz anderen Zusammenhängen auftritt, wie etwa Verantwuurdung oewernähmen (Art. 15/4), sinen Sitz oewernähmen (Art. 23), ehr Amt oewernähmen (Art. 44), dat Oewernähmen von Börgschaften, Garantien oder Tausäkerungen (Art. 65), was jeweils in der Standardversion als "Verantwortung tragen", "das Amt als Abgordneter übernehmen", "Amtsübernahme" und "Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder Gewährleistungen" notiert ist. Das Verb oewernähmen erscheint hier in der Bedeutung von "(mit Verantwortung) betraut sein", "(einen Parlamentssitz / ein Mandat) einnehmen / annehmen", "(ein Amt) bekleiden / antreten", "(eine Bürgschaft etc.) leisten / übernehmen", sodass die spezifische juristisch definierte Bedeutung der Ermächtigung aufgrund der Polysemie der Benennung nahezu aufgehoben wird. Die Lexeme Pflicht und Verpflichtung werden durchgehend in allen Verfassungstexten zu Plicht vereinheitlicht: (N, Art. 27; S, Art. 18; B, Art.8); in B wird aber auch z.B. die Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfeleistung als Plicht, sik gegensiedig to'r Hulpe to kamen (Art. 10) wiedergegeben, die rechtlich begründeten Verpflichtungen in H als de Plichten, de rechtlich faststellt sünd (Art. 67). Zwar kommt in der Benennung Verpflichtung der prozessuale Charakter des Verpflichtetwerdens oder der Inpflichtnahme durch eine gesetzliche Maßnahme deutlicher zum Ausdruck, während die Pflicht eher einen durch ein Gesetz geregelten statischen Obligationszustand ausdrückt. Dennoch liegen beide Benennungen einander semantisch so nahe, dass eine terminologische Unterscheidung redundant erscheint und die Vereinheitlichung zu Plicht in den untersuchten Texten sinnvoll ist.

4 Juristische Formeln und Floskeln

Die Rechtssprache enthält bekanntermaßen eine große Anzahl an versatzstückartigen Formeln und Floskeln, die auch in syntaktischer Hinsicht eine größtmögliche Standardisierung festgelegter juristischer Zusammenhänge gewährleisten. Pommer charakterisiert Funktion und Übersetzung juristischer Formeln in folgender Weise:

Ein spezielles Problem bei den juristischen Übersetzungen sind [...] die standardisierten Formeln, die zur Vereinfachung interner Informationen dienen, weil sie durch den Rückgriff auf bereits vorliegende Formulierungen und Präjudizien Gleichbleibendes indizieren. Sie dienen dem Wiedererkennen bestimmter gerichtlicher Verfahrensaspekte, die meist auch außersprachlich vergleichbar sind. Der Übersetzer hat hier keine Formulierungsfreiheit. Wenn zielsprachlich vergleichbare Verfahrensschritte vorliegen, dann sollten die entsprechenden Formulierungen verwendet werden, auch wenn diese grammatikalisch völlig anders aufgebaut sind (POMMER 2006: 26).

In den niederdeutschen Verfassungstexten wird der Forderung der standardisierten Übersetzung solcher Formeln kaum nachgekommen. Vielmehr herrscht eine Tendenz zu einer frappierenden 'Formulierungsfreiheit' vor. So wird etwa die Formel nach Maßgabe, die in Rechtstexten verwendet wird, um Sachverhalte einschränkend an bestimmte Gesetze, vertragliche Übereinkommen oder sonstige Bedingungen zu binden, außerordentlich uneinheitlich übersetzt (vgl. Tabelle 1).

Der substantivische Teil der Präpositionalphrase, Maßgabe, wird lediglich in B, wenn auch nicht einheitlich, ebenfalls mit einem Substantiv übertragen, und zwar durch den substantivierten Infinitiv Bestimmen, sowie durch die Substantive Vörgaav (Vorgabe) und Order (Anordnung). An anderer Stelle wird Maßgabe in B verbal aufgelöst zu besluten (beschließen) oder regeln. Dasselbe geschieht in S und M unter Verwendung der Verben vörschrieven (vorschreiben) und vörgeven (vorgeben) bzw. rägeln (regeln) und wüllen (wollen). Ein weitere Variante findet sich in M (Art. 29/3), wo die Präpositionalphrase nach Maßgabe der Geschäftsordnung aus dem Satz herausgelöst und zu einem unabhängigen Hauptsatz umgewandelt wird, wobei der Bezug zur rhematischen Satzaussage durch das Pronominaladverb dorbi (dabei) hergestellt wird und Maßgabe durch das Substantiv Richtsnur (Richtschnur) ersetzt wird.

Die Wiedererkennbarkeit der Formel wird durch die interpretierende Übersetzung stark beeinträchtigt, wenn eine derartig breite Skala von Konnotationen, die von imperativen Begriffen wie Anordnung, Bestimmung, Beschluss oder Vorschrift über weniger verbindlich gebrauchte Begriffe wie Vorgabe, Regelung bis hin zur eher fakultativen Richtschnur oder sogar zum personifizierenden Willen des Landeshaushaltsgesetzes (M, Art. 29/6) reichen. In jedem Fall geht die lexikalische Vielfalt der Übersetzungsversionen auf Kosten der Eindeutigkeit und Einfachheit der Begrifflichkeit.

tabella 1 def gerdes n. 18

Das gilt umso mehr für die syntaktische Gestaltung der Formulierungen, wenn außer in B (Art. 66 und 128) vorwiegend satzförmige Übertragung der Formel vorzufinden sind, in einem Fall auch eine Adverbialisierung der gesamten Präpositionalphrase nach Maßgabe eines Vertrages durch das Adverb verdragglich (M, Art. 9/3). Diese syntaktische Modifizierung der Formel führt letztlich auch zu einer semantischen Veränderung; denn die vertragliche Regelung eines Sachverhaltes ist der einer Gewährleistung nach Maßgabe bereits eingegangener vertraglicher Regelungen vorgängig.

Die mit so as (so wie) eingeleiteten Komparativsätze der Gleichheit sind insofern ebenfalls irreführend, als sie die Verbindlichkeit der Formel nach Maßgabe einschränken; so ist im folgenden Satz eindeutig, dass die Zuführung von Steuern an die Gemeinden von den jeweils geltenden Steuergesetzen abhängig ist: "Zur Erfüllung ihrer Aufgaben fließen den Gemeinden und Gemeindeverbänden nach Maßgabe der Steuergesetze Einnahmen aus den Realsteuern und den sonstigen Kommunalsteuern zu" (S, Art. 48). In der Übertragung geht eben diese Eindeutigkeit verloren: För ehr Opgaven kriegt de Gemeenden un Gemeendeverbänn Innahmen ut de Realstüürn un anner Kommunalstüürn, so as de Stüürgesetzen dat vörgeevt.8 Der ans Ende gesetzte Vergleichssatz kann zwar als conditio sine qua non in der Weise interpretiert werden, dass die finanziellen Zuwendungen den Gemeinden nur und ausschließlich im Rahmen der geltenden Steuergesetze zugestanden werden können. Er kann aber ebenso gut als fakultativer Zusatz gelesen werden, dass also den Gemeinden in jedem Fall in hier nicht spezifiziertem Umfang Finanzmittel aus Steuerressourcen zustehen, "wie es im Übrigen auch durch die Steuergesetze vorgesehen ist", ohne dass dies als eine klare Voraussetzung zu verstehen ist. Die Vagheit resultiert auch, wie oben schon ausgeführt, aus der Semantik der Verben vörgeven, besluten, wullen etc. Noch weniger bindend erscheinen die Formulierungen in M (Art. 29/3): de Geschäftsordnung is dorbi sin Richtsnur9 und B (Art. 82): wat mehr regelt datt Gesett.10 Letztere Formulierung ist ein besonders eklatantes Beispiel für eine zusammenfassende Adaptierung zu Lasten der in juristischen Texten unabdingbaren translatorischen Genauigkeit.

Vielen in der Rechtssprache formelhaft verwendeten spezifischen Präposition ermangelt es im Niederdeutschen an geeigneten Entsprechungen, sodass eine standardisierte Formel, wie z.B. vorbehaltlich ander(weitig)er gesetzlicher Regelung, jeweils durch verneinte Konditionalsätze aufgelöst werden muss (vgl. Tabelle 2).

tab 2 def gerdes n 18

Zwar entstehen durch die in Tabelle 2 aufgezeigten Paraphrasierungen keine relevanten semantischen Abweichungen; dennoch beeinträchtigt die umständliche Formulierung die im standardsprachlichen Original gegebene sprachliche Ökonomie und begriffliche Kompaktheit.

5 Polysemie − Synonymie

Ein zentrales Problem in der fachsprachlichen Übersetzung sind die Phänomene der Polysemie und der Synonymie, die "kommunikationshemmende Eigenschaften der Rechtssprache" (POMMER 206: 24) darstellen können, wenn auch partielle Äquivalenz, Begriffslücken bzw. Unübersetzbarkeit von Begriffen im Fall der niederdeutschen Rechtssprache kein prinzipielles Problem darstellen, da diese sich auf dasselbe Rechtssystem bezieht wie die entsprechenden standarddeutschen Ausgangstexte. In Tabelle 3 sind einige Begriffe zusammengestellt, die geeignet sind, die Problematik der Polysemie und Synonymie in den niederdeutschen Verfassungstexten zu illustrieren. Dabei handelt es sich einerseits um uneinheitlich und damit irreführend übertragene Begriffe, wodurch in den niederdeutschen Texten Synonyme entstehen, die aber jeweils mit Benennungen anderer Begriffe identisch sind und dadurch ihre Eindeutigkeit verlieren. Andererseits werden unterschiedliche Begriffe aus den Ausgangstexten mit identischen niederdeutschen Benennungen übersetzt, wodurch Polysemien entstehen, die den Ansprüchen einer präzisen Rechtsterminologie nicht genügen.

So wird zwar der standarddeutsche Begriff Recht häufig mit dem homographen niederdeutschen Recht übersetzt, in S und B wird aber auch der Begriff Befugnis mit der Benennung Recht wiedergegeben, während Befugnis an anderer Stelle mit Befugnis, Vullmacht (Vollmacht) bzw. Order (Anordnung) übersetzt wird (s. Tabelle 3).

tab 3 def gerdes n 18

Die juristischen Unterschiede zwischen den Begriffen im Einzelnen herauszustellen würde an dieser Stelle zu weit führen; es sei daher lediglich darauf verwiesen, dass unter Befugnis im Allgemeinen eine zweckgebundene und zeitlich befristete Berechtigung verstanden wird, während Recht ein sehr viel generellerer Begriff ist. Vollmacht und Anordnung haben hingegen abweichende Definitionen (s.o.) und grenzen den Begriff zu sehr ein, Anordnung führt sogar zu einer Bedeutungsverschiebung, wenn die öffentlichrechtlichen Befugnisse der zuständigen Stellen als de öffentlich-rechtlichen Orders vun de tostännigen Stellen übertragen werden und der semantische Schwerpunkt damit von den rechtlichen Mitteln, die den zuständigen Stellen seitens des Gesetzgebers zur Verfügung gestellt werden auf die konkreten Eingriffsmöglichkeiten gegenüber dem Bürger verschoben wird.

Eine verunklarende Polysemie entsteht hingegen bei der Benennung Öllern / Ollern, die in S, M und B für Eltern verwendet wird, in S gleichzeitig aber auch für Erziehungsberechtigte. In S und B finden sich ferner die explikativen Übersetzungen de över de Kinner to bestimmen hett (diejenigen, die über die Kinder zu bestimmen haben) sowie de, de dat Recht hebbt, Kinner uptotrecken (diejenigen, die das Recht haben, die Kinder aufzuziehen). Dass Eltern und Erziehungsberechtigte im rechtlichen Sinne keineswegs identisch sein müssen, ist auch dem juristischen Laien einsichtig. Aber auch die zitierten explikativen Paraphrasen sind terminologisch nicht korrekt; denn durch das fehlende Possessivpronomen ist in beiden niederdeutschen Benennungen die Unterscheidung zwischen Erziehungsberechtigten und Aufsichtspflichtigen, etwa in Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht eindeutig. In der Benennung de, de dat Recht hebbt, Kinner uptotrecken erscheint darüber hinaus der konkrete Begriffsinhalt der Personen, denen im familiären Kontext die Kindererziehung obliegt, einer allgemeineren Bedeutung gewichen zu sein, die auch Personen mit einschließt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Kinder erziehen, sich aber beispielsweise im Rahmen von Inpflegegabe oder Adoptionen das Recht zur Kindererziehung erworben haben.

Ein weiteres Beispiel für die Entstehung von Synonymen durch terminologisch unkoordinierte Übersetzung ist der Begriff Gesetzesentwurf, der in S als Vörslaag för Gesetzen (Gesetzesvorschlag) erscheint, in M als Vörlagen to Gesetze (Gesetzesvorlage) und schließlich in B als Gesettentwurf oder Gesettvörlaag. Der Begriff der Gesetzesvorlage wird in Artikel 76 des Grundgesetzes folgendermaßen erläutert: "Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht."11 Der Begriff des Gesetzentwurfes wird offenbar auch im Standarddeutschen synonym mit Gesetzesvorlage verwendet, auch wenn er als solcher weder im Grundgesetz noch in den zahlreichen Veröffentlichungen der deutschen Bundesregierung zur Gesetzgebung auftaucht. Gleichzeitig findet aber der Begriff Gesetzesvorlage ebenfalls, wenn auch nicht konsequent, als Synonym zu Gesetzesvorschlag Verwendung, womit im Allgemeinen Initiativen für neue Gesetze gemeint sind, die aus der Zivilgesellschaft, von Bürgern und Organisationen an die politischen Mandatsträger herangetragen werden. Hier spiegeln somit die niederdeutschen Verfassungstexte begriffliche Unschärfen im standarddeutschen Sprachgebrauch wider; immerhin wurden diese in den Ausgangstexten der norddeutschen Verfassungen zum Begriff Gesetzentwurf vereinheitlicht.

Abschließend sei noch auf ein semantisches Feld aus dem Bereich des Finanzrechtes eingegangen: Das Wortpaar Einnahmen und Ausgaben wird im Allgemeinen als Innahmen un Utgaven / Utgaben wiedergegeben. In Art. 92 von B erscheint es jedoch abweichend auch als Inkamen, womit eine klare Abgrenzung zwischen geschäftlich-wirtschaftlichen oder betrieblichen Einnahmen und beruflichem Einkommen verlorengeht (KAHL / THIESS 2011: 278). Zusätzlich findet eine Vermischung der Begriffe Einnahmen und Ausgaben mit den nur für in Bezug auf Bundesbetriebe nach § 26 BHO gebräuchlichen Begriffen Zuführungen und Ablieferungen12 statt, wenn letztere einerseits mit Tauführungen un Afliewerungen, andererseits aber auch mit Innahmen un Utgaven übersetzt werden (vgl. Tabelle 3).

6 Nominalisierung

Das häufige Auftreten von komplexen Nominalphrasen ist ein Charakteristikum nicht nur der juristischen Fachsprache, sondern wird generell als konstitutives Merkmal eines Großteils der Fachsprachen, besonders im naturwissenschaftlich-technischen, aber auch im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, beschrieben. Ein wesentlicher Grund für diese Konstruktionen wird mit Roelcke "in deren Anonymität gesehen, da die Nominalisierung eine Abstraktion von denjenigen Personen oder Gegenständen bedingt, auf die mit den betreffenden fachsprachlichen Äußerungen jeweils Bezug genommen wird" (ROELCKE 1999: 81), was in besonderem Maße für die Rechtssprache zutrifft. Ferner hätten Nominalisierungen in begrenztem Maße ausdrucksökonomische Funktion; ein weiterer Grund für die Erweiterung von Satzgliedern innerhalb bereits komplexer Sätze liege in dem Ziel, syntaktische Einheiten mit "einer möglichst hohen Zahl an Informationen" zu versehen, sowie in dem "darstellungsoptimierenden Streben nach sprachlicher Explizitheit und Folgerichtigkeit" (ROELCKE 1999: 82f.).

In den niederdeutschen Verfassungstexten werden derartige Nominalphrasen im Allgemeinen durch hypotaktische Satzgefüge mit Gliedsätzen oder Infinitivkonstruktionen aufgelöst. So wird etwa eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung umformuliert zu "dat Recht geven, dat en Rechtsverordnung maakt warrt" (S, Art. 38/1)13 oder "Verlöf gäben, ne Rechtsverordnung tau erlaten" (M, Art. 57).14 Abgesehen vom sprachökonomischen Aspekt, dem durch die nominale Formulierung sicherlich eher genüge getan wird, wird beim Vergleich von Ausgangs- und Zieltext außerdem deutlich, dass die Reverbalisierung der Ausdrücke zu einer Verminderung der anonymisierenden Abstraktion führt, da die Funktionsverbgefüge dat Recht geven und Verlöf gäben eine Dativergänzung implizieren; obwohl diese nicht explizit gemacht wird, wird dennoch indirekt auf einen Adressaten der Rechtsvergabe bzw. Erlaubnisgewährung verwiesen, wodurch der Ausdruck weniger generalisierend, weniger anonym und mehrdeutiger wird. In der Verbalisierung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung zu "wo wiet düt Recht langen schall, um wat dat in düt Recht geiht un war düt Recht schall" (S, Art.38/1)15 wird sicherlich der Forderung nach "sprachlicher Explizitheit und Folgerichtigkeit" kaum entsprochen; denn die im Übrigen in eine neue Reihenfolge gebrachte Paraphrasierung von Inhalt der Ermächtigung als "worum es in dem Recht geht", von Ausmaß der Ermächtigung als "wie weit das Recht reichen soll" und insbesondere von Zweck der Ermächtigung als "was das Recht soll", führt zu einer syntaktischen Dehnung des Ausdrucks, die wiederum die begriffliche Klarheit deutlich beeinträchtigt.

Abschließend sei auf ein weiteres Problem hingewiesen, das die Übertragung von Nominalphrasen betrifft: In der Rechtssprache treten häufig attributiv gebrauchte Partizipien auf, die in Verbindung mit Substantiven zu festen Mehrwortbegriffen werden, wie beispielsweise der verfassungsrechtliche Begriff der vollziehenden Gewalt. Offenbar gibt es in den unterschiedlichen Varianten der niederdeutschen Varietät Probleme bei der Übertragung des aktiven Präsenspartizips, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass die Form des aktiven Präsenspartizips im Niederdeutschen mit der Infinitivform identisch ist (Vgl. LINDOW 1998: 67). In S wird der Begriff durch einen substantivierten Infinitiv als Ümsetten vun de Staatsgewalt (Art. 26) übersetzt, in M wird er als dat Regieren un Verwalten (Art. 4) erklärend paraphrasiert, und schließlich in B und N mit Hilfe des mit dem Infinitiv formgleichen Partizips Präsens als vulltrecken Gewalt (B, Art. 67; N, Art. 2) übertragen. In der Tat ist die Referenz auf den verfassungsrechtlich grundlegenden Begriff der Exekutive bzw. der vollziehenden Gewalt in S und M nicht mehr eindeutig erkennbar; die Verwendung des Partizips in B und N erscheint präziser. Dennoch tritt hier ein Mangel an unzweideutig diversifizierenden grammatischen Kategorien zwischen Sprachenpaaren als grundsätzliches Problem der Rechtsübersetzung zutage. Eine terminologische Konventionalisierung grammatischer Standards für den spezifischen fachsprachlichen Ausdrucksbedarf müsste hier Abhilfe schaffen.

7 Fazit

In einem Artikel des Hamburger Abendblattes vom 11.08.2010 mit dem Titel Landesverfassung auf Plattdeutsch16 lobt der Autor überschwänglich die Vorzüge der neuen niederdeutschen Übersetzung der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung: Man lese und finde lauter "gelungene Sätze", die standarddeutsche Variante sei viel "unklarer und schwammiger", die niederdeutsche Fassung ließe sich "mehr Zeit für Erklärungen" und erhelle "komplizierte Begriffe schnörkellos und verständlich". Die Verständlichmachung der allgemein als kompliziert angesehenen Rechtssprache war offenbar auch ein Anliegen der Veröffentlichung des Verfassungstextes. In deren Vorwort (En poor Wöör vörut) äußert sich der damalige Landtagspräsident Torsten Geerdts folgendermaßen:

Das Niederdeutsche eignet sich durchaus auch als Gesetzessprache. Vielleicht kann manch einer sogar erst in dieser Sprache wirklich verstehen, was die verfassungsrechtlichen Normen eigentlich genau besagen. Das würde mich sehr freuen, denn dann hätten wir mit diesem Büchlein gleich zwei Ziele erreicht: das Niederdeutsche zu erhalten und gleichzeitig die Landesverfassung vielen Menschen näherzubringen.

In der Tat lesen sich die niederdeutschen Fassungen für den sprachkundigen Laien leichter, aber dies geschieht auf Kosten der präzisen fachsprachlichen Begrifflichkeit. Was dem Laien im terminologisch korrekten Rechtsdeutsch unter Umständen "unklar" oder gar "schwammig" erscheint, sind in Wahrheit ausgeklügelte Formulierungen, deren Zweck eine in der juristischen Diktion notwendige Balance zwischen größtmöglicher Allgemeingültigkeit und gleichzeitiger maximaler Präzision und Eindeutigkeit ist. Insofern beweist auch der zitierte Zeitungsartikel, dass es sich bei den publizierten niederdeutschen Verfassungstexten um eine Art vereinfachende und kommentierende Übertragung handelt, die strengen terminologischen Maßstäben jedoch nicht gerecht wird. Um dies in Zukunft gewährleisten zu können, müsste eine geeignete Fachterminologie entwickelt werden. Ob dies gelingen kann, hängt von der zukünftigen Entwicklung der niederdeutschen Sprache insgesamt ab. Debus äußert sich skeptisch:

Das Niederdeutsche hat nicht nur sprachgeographisch mehr und mehr an Gebrauchswert eingebüßt und wird wohl auch in Zukunft dieser Entwicklungstendenz ausgesetzt bleiben. [...] Dass sich [...] in Zukunft eine niederdeutsche Einheitssprache zwischen Emden und Ückermünde entwickeln könnte, muss [...] wohl als ausgeschlossen bezeichnet werden (DEBUS 1996: 45).

Ob Debus' pessimistische Prognose sich bewahrheiten wird oder ob die zahlreichen politischen, gesellschaftlichen und privaten Bemühungen zur Erhaltung des Niederdeutschen und zu dessen Etablierung als gleichberechtigtes Idiom in Politik, Verwaltung und Rechtspraxis zum Erfolg führen wird, wird sich in den vor uns liegenden Jahrzehnten zeigen. Im Hinblick auf eine funktionierende Rechts- und Verwaltungssprache ist sicherlich dem Lokalpolitiker Martin Feldkamp Recht zu geben: "Wi hebben för de hoogdütske Fackwoorden kien plattdütske Woorden paraat. Uns fehlt daarför [...] de 'Terminologie'. Daar mutt nödig an arbeidt worden"(FELDKAMP 2010: 112f.).17 Wenn eine niederdeutsche Terminologie wie im obigen Zitat auf das Zitieren von standarddeutschen Fachbegriffen angewiesen ist, kann kaum von einer eigenständigen juristischen Fachsprache die Rede sein; dafür müsste eine spezifische terminologische Begrifflichkeit erarbeitet werden. Ob der politische und gesellschaftliche Wille und nicht zuletzt eine ausreichende Verankerung des Niederdeutschen in der Sprachrealität in Zukunft als notwendige Voraussetzungen dazu vorhanden sein werden, bleibt abzuwarten.

Literatur

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F. DEBUS, Von Dünkirchen bis Königsberg. Ansätze und Versuche zur Bildung einer niederdeutschen Einheitssprache, in Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften E.V., 14/2, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1996.
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Notes

↑ 1 European Charter for Regional or Minority Languages: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/ 148.htm.

↑ 2 In Teil II der Charta werden "Ziele und Grundsätze" der Charta benannt, in Teil III "Maßnahmen zur Förderung des Gebrauchs von Regional- oder Minderheitensprachen im öffentlichen Leben". Dabei bezieht sich Teil II auf generelle Verpflichtungen, während Teil III insgesamt 98 konkrete Maßnahmen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Recht, Verwaltung, Bildung, Medien etc. enthält.

↑ 3 Vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 19. November 2002 in der Rechtsbeschwerdesache betreffend die Gebrauchsmusteranmeldung 200 02 064.1 (http://www.patentrecht.justlaw.de/urteile/bgh-23-01.pdf).

↑ 4 Landesverfaten vun de Free Hansestadt Bremen, hrsg. von der Bremischen Bürgerschaft, Leer, 2004; Verfåten vun de Free un Hansestadt Hamborg, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg, 2002; auch online: http://www.hamburg.de/contentblob/1604280/data/verfassung-2009.pdf; Neddersassisch Verfaten, hrsg. vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Hannover, 2006; Verfatung von dat Land Mäkelborg-Vörpommern, hrsg. vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin, 2012, auch online: http://www.landtag-mv.de/ fileadmin/ media/ Dokumente/ Druckerzeugnisse/ LT_Verfatung_2012.pdf; Verfassung des Landes Schleswig-Holstein/ De Verfaten vun dat Land Sleswig-Holsteen, hrsg. vom Schleswig-Holsteinischen Landtag, Kiel, 2010, auch online: http://www.landtag.ltsh.de/ export/ sites/ landtagsh/ downloads/ infomaterial/ kurzinfos/Verfassung_2011.pdf.

↑ 5 Wie die Unterschiede bei den Einnahmen der Kommunen ausgeglichen werden.

↑ 6 Vgl. Justiz-Online. Justizportal Nordrhein-Westfalen, http://www.justiz.nrw.de/BS/rechta_z/E/index.php.

↑ 7 Soweit er von seinem Recht Gebrauch macht, finanzielle Pflichten zu übernehmen.

↑ 8 Für ihre Abgaben bekommen die Gemeinden und Gemeindeverbände Einnahmen aus den Realsteuern und anderen kommunalen Steuern, wie das Steuergesetz es vorgibt.

↑ 9 Die Geschäftsordnung ist dabei seine Richtschnur.

↑ 10 Alles Übrige regelt das Gesetz.

↑ 11 BUNDESMINITERIUM DER JUSTIZ, Gesetze im Internet, http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_76.html

↑ 12 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/bundesbetrieb-nach-26-bho.html

↑ 13 das Recht geben, dass eine Rechtsverordnung gemacht wird.

↑ 14 die Erlaubnis geben, eine Rechtsverordnung zu erlassen.

↑ 15 wie weit dieses Recht reichen soll, um was es in diesem Recht geht und was dieses Recht soll.

↑ 16 Landesverfassung auf Plattdeutsch, in Hamburger Abendblatt, 11.08.2010 (konsultiert am 19.11.2012), http://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article1595760/Landesverfassung-auf-Plattdeutsch.html

↑ 17 Uns stehen für die hochdeutschen Fachwörter keine niederdeutschen Entsprechungen zur Verfügung. Uns fehlt dafür [...] die "Terminologie". Daran muss dringend gearbeitet werden.

Pour citer cet article :

Joachim GERDES, Juristische Fachsprache in niederdeutschen Verfassungstexten, Lingua e Diritto. La Lingua della Legge, la Legge nella Lingua, Publifarum, n. 18, pubblicato il 13/03/2013, consultato il 25/04/2024, url: http://www.farum.it/publifarum/ezine_articles.php?id=233

 

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Open Access Journal - ISSN électronique 1824-7482

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